Mittwoch, 23. Oktober 2013

Ausstellung Kunst und Textil im Kunstmuseum Wolfsburg: Stoff als Material und Idee – in der Moderne von Klimt bis heute

Die Kunst wird textil – es wird gehäkelt, gestrickt und genäht, denn so wird die Kunst wieder sinnlich. Und das gerade in einer Zeit, die durch die zunehmende Virtualisierung immer unsinnlicher zu werden droht. Mit einer historisch weit gespannten Ausstellung widmet sich das Kunstmuseum Wolfsburg erneut einem Lebens-Thema aus Sicht der Kunst: multimedial, interdisziplinär und die verschiedensten Kulturen umfassend. Nach Interieur/ Exterieur 2008 und Die Kunst der Entschleunigung 2011 ist dies eine weitere Etappe auf der Suche nach der Moderne im 21. Jahrhundert, die das Museum im Jahre 2006 begann.  

Rund 170 Exponate von über 80 Künstlern umfasst die Ausstellung Kunst & Textil, darunter hochkarätige Gemälde von Gustav Klimt, Vincent van Gogh, Edgar Degas, Henri Matisse, Paul Klee und Jackson Pollock. Gezeigt werden bei dieser groß angelegten Schau, die noch bis zum 2. März 2014 geht, auf rund 2700 Quadratmetern Ausstellungsfläche aber auch Artefakte, die keine namentlichen Schöpfer kennen, wie etwa ein gewobener Stoff aus dem alten Peru aus der Sammlung von Anni Albers. Bei der Erkundung der Bedeutung des Textilen geht es auch um eine Art »Neulesung« der Geschichte der modernen Kunst vom Jugendstil bis heute. Die Trennung von Kunsthandwerk und bildender Kunst hatte in der Moderne zur Folge, dass alles »Kunsthandwerkliche« über Jahrzehnte systematisch aus dem kunsthistorischen Kanon verdrängt wurde. 

Installationsansicht von Peter Kogler (Copyright: mumok/Lisa Rastl)    

Kunstwerke aus verschiedensten Materialien werden präsentiert
Für die Besucher von Kunst & Textil mag es überraschend sein, dass sie in der Ausstellung
nicht nur auf Kunstwerke treffen, die aus dem Material Stoff gearbeitet sind - wie etwa die
typischen Strickbilder von Rosemarie Trockel -, sondern auch auf Gemälde, die Stoffe abbilden, wie etwa die hängende Wäsche in Edgar Degas’ Bild »Die Büglerin« oder den üppigen Ball-Entrée, der Marie Henneberg in ihrem Bildnis von Gustav Klimt (1901) in eine textile Wolke hüllt. Darüber hinaus sieht man Objekte, die man sonst nur im Völkerkundemuseum antrifft, wie etwa feine Kubastoffe aus Afrika. 

Black-White-Gold I von Anni Albers (Copyright: The Josef and Anni Albers Foundation/VG Bild-
Kunst, Bonn 2013)

Der rote Faden führt
Den Auftakt der Ausstellung Kunst & Textil bildet die bewegte Zeit des Jugendstils, als Künstler und Gestalter wie William Morris und Henry van de Velde sich in Paris, Brüssel, London und Wien anschickten, die Hierarchie zwischen Kunst und Kunsthandwerk zugunsten eines umfassenden Lebensentwurfes aufzulösen. Das textile Gestalten war auch das Bindeglied zur Malerei, die nach Édouard Vuillard, Henri Matisse und Gustav Klimt gerade im Begriff war, abstrakt zu werden. Der Besucher folgt dem roten Faden weiter zum Bauhaus in Weimar und Dessau, wo das textile Gestalten einen ersten Höhepunkt fand und wo die Grundlagen für die Entfaltung der sogenannten Fiber Art gelegt wurden. Das Kapitel »Spiderwomen« ist wichtigen Protagonistinnen der feministischen Kunst gewidmet, neben Trockel auch Louise Bourgeois, Mona Hatoum und Ghada Amer. Seither haben Künstler das Bedeutungsspektrum des Textilen enorm ausgedehnt und das aktuelle Kunstschaffen ist geradezu durchsetzt von Arbeiten aus Fäden und Stoffen, genähten Skulpturen und gehäkelten Installationen. 

Spider von Louise Bourgeois (Copyright: Photographic Archives Museo Nacional Centro de Arte
Reina Sofia)

»Menschsein heißt Leben mit Stoff«, sagt die Textilforscherin Beverly Gordon. Textilien begleiten uns das ganze Leben sprichwörtlich von den Windeln bis zum Leichentuch. Das Spinnen und Weben ist, wie Gottfried Semper schon 1860 feststellte, eine Urtechnik, aus der alle anderen Künste hervorgingen. »Wo ‚Bindung’ und ‚Verknüpfung’ nicht kulturtechnisch bewältigt sind«, erläutert Hartmut Böhme, »kann es auch keine Kultur geben«. Der Jacquard-Webstuhl, dieses Urmodell der Industrialisierung, führte das Lochkarten-Prinzip ein und wurde dadurch zu einem Prototyp der digitalen Bildkultur. Diese hochaktuelle Analogie von maschinellem Weben und digitalem Prozessieren verleitet dazu, das World Wide Web als eine Art Webstuhl des Internet-Zeitalters zu verstehen. 

Ohne Titel von Paul Klee (Copyright: Peter Schibli, Basel)

Die Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg verfolgt auch die Frage nach dem Anteil textiler Techniken an der Geburt der Abstraktion. So findet die orthogonale Gewebestruktur von Kette und Schuss ihre Entsprechung zum rechtwinkligen Gittermuster, das Ende der 1920er- Jahre die moderne Malerei eroberte (Piet Mondrian). 

Food Faerie von Yinka Shonibare (Copyright: VG Bild-Kunst, Bonn 2013)


Oktober 2013. Redaktion LAURUS Magazin

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